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2007-12-11 | Autor: Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann (FB Evangelische Theologie Universität Hamburg)
Jesus Camp
Der Dokumentarfilm „Jesus Camp“ ist in den USA 2006 unter der Leitung von Heidi Ewing Rachel Grady entstanden. Er wurde für einen Oscar nominiert.
„Jesus Camp“ zeigt in sehr genauer Beobachtung und Begleitung von Familienszenen, Szenen aus Ritualen von evangelikalen amerikanischen Gemeinden und aus einem Freizeitcamp für fünf- bis zwölfjährige Kinder, wie Kinder religiös indoktriniert werden, in Angst versetzt werden, in ihrer Selbsttätigkeit missachtet und instrumentalisiert werden, zu einer militanten Armee Jesu Christi zu werden. Der Film gibt einen eindringlichen Hinweis darauf, dass Fundamentalismus - das heißt die Unfähigkeit und Unwilligkeit zur Wahrnehmung anderer Lebensweisen als Anderen, verbunden mit Gewaltbereitschaft gegenüber dem Anderen und als fremd und bedrohlich Wahrgenommenen - heute keinesfalls allein nur ein Problem von muslimischen Gruppen darstellt, sondern auch in Christentum seinen Ort findet, in diesem Falle in den endlosen Weiten des nordamerikanischen Mittelwestens.
Dass sich im Europa, und zwar vor allen Dingen in Zentraleuropa seit dem 17. Jahrhundert eine Form von christlicher Religion etabliert hat, die in wissenschaftliche Diskurse eingeflochten ist, mit den Lebensgefühlen und wissenschaftlichen Entwicklungen der Moderne in Kontakt ist, gesprächsoffen und dialogorientiert ist, hat sich nach einer Jahrhunderte langen Phase von blutigen konfessionellen Kriegen bis zur Mitte des 17.Jahrhunderts hier bei uns in Mitteleuropa nach und nach entwickeln können. Dies ist eine kulturelle und religiöse, auch soziale Entwicklung, die einen unaufgebbaren und schützenswerten Gewinn für unsere Gesellschaften darstellt. Unsere demokratische Kultur ist in ihrer Lebensfähigkeit und in ihrer Friedensfähigkeit davon abhängig, dass Religionen in ihrem Leben wie in ihrer Lehre auf eine Weise Gestalt finden, dass andere religiöse und kulturelle Orientierungen wahrgenommen und wertgeschätzt werden und zugleich das Eigene geliebt, gelebt und auch weitergegeben wird.
Es ist nicht zu vernachlässigen, dass sich in Westeuropa und auch in Deutschland eine Form des Christentums etabliert hat, die gerade wegen seiner Offenheit und die Dialogorientierung von vielen Menschen als irrelevant wahrgenommen wird. Auch in meiner Perspektive geht es darum, Deutlichkeit und Lebendigkeit in den Lebensformen der evangelisch-christlichen Religion, in Gottesdienst und Gebet, Seelsorge und sozialem Engagement zu vertiefen. Auch Christenmenschen müssen für sich selbst und für andere eine erkennbare Lebensgestaltung ausprägen. Dies darf jedoch aus der Eigensinnigkeit der biblischen, jüdisch-christlichen Religionstradition niemals mit einer Gewaltbereitschaft gegenüber anderen, mit der Selbstidentifizierung der eigenen Welt als der guten und mit der Ablehnung eines anderen als der bösen Welt zusammengehen.
Der Film „Jesus Camp“ zeigt in ebenso genauen wie drastischen und bedrückenden Bildern und Szenen, wie sich in weiten Bevölkerungsteilen der USA genau ein solches selbstidentifiziertes, gewaltbereites, nach außen abgeschottetes Lebensgefühl in fundamentalistischen christlichen Kreisen ausbreitet. Dies breitet sich nicht spontan aus, sondern es wird durch „schwarze Pädagogik“, durch eine Pädagogik der Angst und der Täuschung und Mystifizierung der alltäglichen Lebenswirklichkeit den Kindern angetan. Was in diesem Film gezeigt wird, hat mit der biblischen Tradition nichts zu tun - selbst wenn das hier gezeigte Camp „Bible Camp“ genannt wird. Aus der Erzähltradition der ganzen Bibel heraus und aus den christlichen Bekenntnistraditionen heraus ist es unmöglich, dass sich Christenmenschen selber mit dem Guten identifizieren und alles andere als böse ablehnen und bekämpfen. Gott schenkt nach christlichem Glauben den Menschen Gerechtigkeit, die durch eigene Leistungen und im eigenen Lebensvollzug hierzu nicht in der Lage ist. Eine heile Welt ist ein Menschenunmögliches Projekt. Alle Menschen sind Gottes geliebte Kinder unabhängig von ihrer Lebensweise, ihren religiösen und sonstigen Orientierungen, alle Menschen sind in theologischer Sprache geredet gerecht und sündig zugleich – d.h. alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen, sozialen und politischen Zugehörigkeit leben immer wieder so, dass sie ihre Mitmenschen und ihre Umwelt in den eigenen Lebensperspektiven missachten und damit nicht so leben, wie Gott es von seinen Menschen will. Dies beinhaltet die Entzauberung einer zerstörerischen Größenphantasie, die nicht nur in einzelnen evangelikalen Gruppen in den Vereinigten Staaten mächtig sind, sondern die gegenwärtige Politik der US-amerikanischen Führung zu motivieren scheint. Die Eindeutigkeit einer Unterscheidung von Gut und Böse, von Licht und Finsternis, Leben und Tod, Heil und Sünde, in der das böse immer draußen, bei den anderen ist, wir aber selber die Guten sind - diese eindeutige Unterscheidung ist von der biblischen Erzähltradition her unmöglich. Das Zerstörerische nicht nur draußen, bei den Anderen und Fremden, sondern ist immer auch drinnen, immer auch im Eigenen, immer auch in uns selbst, und auch die anderen sind liebenswerte, lebensfrohe und von Gott geliebte Geschöpfe.
Die Form von Christentum, die in „Jesus Camp“ gezeigt wird, hat in Wahrheit mit biblischem Christentum nichts zu tun - diese Wahrnehmung sollte auch dazu beitragen, dass wir in der Wahrnehmung unserer muslimischen Mitbürger und Mitbürgerinnen endlich aufhören, umstandslos fundamentalistische und gewaltbereite Orientierungen mit „dem“ Islam zu identifizieren. Wir haben mittlerweile genügend Wissen, um zeigen zu können, dass Gewaltbereitschaft und Fundamentalismus weniger mit religiösen Orientierungen als mit anderen sozialen und individuell-lebensgeschichtlich Prägungen zu tun haben.
Es liegt viel, für den Bestand unserer politischen Kultur fast alles daran, dass auf diesem Wege Wahrnehmungsoffenheit und Respekt eingeübt werden, und zwar in allen religiösen und kulturellen Lebenswelten in unserer Gesellschaft.
Noch eine Bemerkung zur Situation bei uns im Lande, vor der Fundamentalismus in christlichen Gruppen –noch nicht das zentrale Problem fundamentalistischer Entwicklungen darstellt. Was die Situation in Deutschland angeht, so lässt sich die weit verbreitete Meinung, dass gerade bei Muslimen ein notwendiger Zusammenhang zwischen einem hohen Grad von religiöser Eingebundenheit und Gewaltbereitschaft bestehe, empirisch nicht belegen. Was den Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt in der Jugendkultur angeht, können wir mittlerweile auf valide Untersuchungsergebnisse zurückgreifen. 2003 wurde eine Untersuchung in Kooperation zwischen der Abteilung Kriminologie des Instituts für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen eV in Hannover durchgeführt und durch das Bundesministerium des Inneren finanziell gefördert. Die Datenbasis dieser Analyse sind Befragungen von Schülerinnen und Schülern aus Hamburg, Hannover, München und Leipzig sowie dem Landkreis Friesland. Die Studie wurde von P.Wetzels und K.Brettfeld unter dem Titel „ Auge um Auge, Zahn um Zahn? Migration, Religion und Gewalt jüngerer Menschen“ veröffentlicht. Ich nenne einige wichtige Ergebnisse.
Zu den Fragen nach der Verbindlichkeit religiöser Orientierung müssen, so die Studie, andere Frageperspektiven hinzutreten, so die nach dem sozioökonomischen Status, nach dem Migrationshintergrund, vor allen Dingen aber auch nach geschlechtsrollentypischen Zuschreibungen und hier insbesondere nach der Wirksamkeit eines traditionellen Männlichkeitsbildes. Während bei Jugendlichen aus Migrationsfamilien ein enger Zusammenhang zwischen hohem sozialem Status und fehlender Verbundenheit mit der Religionsgemeinschaft angehören, verhält sich dies bei den einheimischen deutschen Jugendlichen umgekehrt: dort ist der sozioökonomischen Status der Familien von Jugendlichen am höchsten, die eine hohe oder sehr hohe religiöse Bindung aufweisen. Ein in diesem Zusammenhang interessantes Ergebnis ist, dass sich der sozioökologische Status von Familien Jugendlicher ohne Religionszugehörigkeit zwischen Migranten und Deutschen kaum unterscheidet. In der Summe lässt sich festhalten, dass stark islamisch orientierte Jugendliche in Deutschland durch eine ungünstigere soziale Lage ihrer Herkunftsfamilie gekennzeichnet sind: hier ist der sozioökologische Status der Eltern niedriger, die Wohnsituation beengter, der elterliche Bildungsabschluss geringer sowie das eigene Bildungsniveau der Jugendlichen ebenfalls niedriger. Zudem weist fast die Hälfte der stark religiösen muslimischen Jugendlichen eine geringere sprachlich-soziale Integration im Bereich der Gleichaltrigen auf. In der Summe sind von daher stark islamisch religiös geprägten Jugendliche in Deutschland jene Gruppe, bei der sowohl wirtschaftliche Rahmenbedingungen, über Bildung vermittelte Optionen als auch die sprachlich-soziale Integration vergleichsweise am schlechtesten ist. Zudem besteht in diesem Feld eine enge Konnotation zwischen Gewaltbereitschaft bei den Jugendlichen und Erfahrungen von Elterngewalt in der Kindheit.
Signifikant ist vor allem ein Ergebnis der Studie: dass traditionelle Männlichkeitsbilder am stärksten mit Gewaltbereitschaft bei männlichen muslimischen Jugendlichen korrelieren. Die Korrelation zwischen Männlichkeitsbild und Gewaltbereitschaft ist unvergleichlich höher als die zwischen religiöser Bindung und Gewaltbereitschaft. Die Autoren fassen die Untersuchung zusammen: „Tendenziell lässt sich mit Blick auf das Gewalthandeln konstatieren, dass mit religiösen Bindungen zugleich auch eine Einbindung in sozialer Gemeinschaften erfolgt, die als Kontrollinstanzen fungieren und ein aktives Gewalthandeln weniger wahrscheinlich werden lassen können … Eine Rückführung der erhöhten Gewaltfrequenz auf religiöse Bindungen ist indes nicht nachweisbar. Auf der Verhaltensebene gilt, wenn überhaupt, dann eher der gegenteilige Zusammenhang … Insoweit ist die Kriminologische Bewertung islamischer Religionszugehörigkeit und Religionspraxis durchaus ambivalent. Offenbar kann hier auch ein Feld persönlicher Sinnfindung und individuelle Anerkennung sowie informeller sozialer Kontrolle liegen, das nicht im Sinne einer Erhöhung von Gewaltbereitschaft und -handeln wirkt. Die einfache Formel, die im Islam eine Gefährdung sieht und die mit einer stärkeren religiösen Bindung automatisch auch ein wachsendes Gewaltpotenzial in Zusammenhang bringt, ist so jedenfalls empirisch nicht stützbar.“
Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann (FB Evangelische Theologie Universität Hamburg)
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